In Schweinfurt lebt der majestätische Neufi-Rüde Heikki harmonisch mit der quirligen Hütehündin Liv zusammen, wie sie anders gestrickter nicht sein könnte
Teil 1: Hütehündin Livs Einzug in ein neues Leben bereitet Neufrauchen und –herrchen manche Schwierigkeiten. Und: Kurzportrait der Hunde.
Jetzt Teil 2: Wie Liv Frauchen und Herrchen senkrecht aus dem 7. Neufihimmel kata-pultiert. Und: erste Erfahrungen eines normalsterblichen Herrchens zum Thema „Beschäftigung“. Von Martin Thurau.
Heikki schien sich hingegen völlig ungestört zu fühlen.
Livs Einzug verläuft denkbar unspektakulär
Liv hatte uns senkrecht aus dem Neufi-Himmel katapultiert. Es folgte ein Jahr in heller Not. Gegen das Warnbellen nachts halfen häufig nur schnelle Auszüge in das Gartenhäuschen vor den Toren der Stadt, Heikki stets unternehmungslustig dabei. Frust für den Hundetrainer („…ein anstrengendes Hündchen…“ „Die ist misshandelt worden!“), Schock für die Tierärzte (…“mein Gott, was hat sie blos durchgemacht…?“ „Viel Spaß bei der Erziehung…“). Fellpflege war nur ansatzweise möglich und auch nur mit Maulkorb. Übersprungbeißen. Extremes Leinenziehen, daher musste umso schneller ein solides Brustgeschirr beschafft werden. Nach dem,was dieLiteratur her gibt, zeigt Liv klare Symptome von Hyperaktivität.
Bei einem Versuch, Liv das Winterstreusalz in einem Wasserbad von den Pfoten abzuwaschen, fühlte ich mich plötzlich so, als sei ich mitten in eine Autowaschanlage geraten.
Was hat Liv blos durchgemacht?
Livs erste Schleppleine war lang genug für ihren hitzigen Ausflug in ein dichtes, nachtdunkles Waldgebüsch. Darin wurde sie von einem Fuchs gebissen. Klinik. Anfangs einwandfrei frei laufend, verabschiedete Liv sich ausgerechnet am 1. April aus einer vertrauten Hundegruppe heraus in ein Waldgebiet. Eine Woche fieberhafter Suche über alle Kanäle. Ich war Dauerbesucher an der betreffenden Stelle in dem Wald, ich pfiff, rief und legte Geruchsproben von mir aus. Schließlich kam der erlösende Anruf von TASSO. Liv war von Passanten mit Hund in einem zwei Meter tiefen Schacht nahe eines Dorfes in 10 km Entfernung gefunden worden. Mein Gott – Liv, nicht auszudenken….und gib mir die Nummer von deinem Schutzengel!
Eine Woche fieberhafter Suche
Unserer Illusionen beraubt, machten wir uns an eine lange Zeit der intensiven Arbeit mit Liv. Diese Mühen haben wir uns schnell mit Spitznamen wie „Miss Dynamite“, „Miss Dogiversum“ und „Muckibiene“ aufgeheitert. Ein intensives Studium von Fachliteratur (Cordt: Hundereich, Schoke: Herdenschutzhunde, Rugaas: Hilfe mein Hund zieht, diverse Beiträge in dem Bookazin „Sitz-Platz-Fuss“) eröffnete uns ein Verständnis für Liv und eine plausible Hypothese über ihre rätselhafte Rasse. Zweifellos ein Hütehund, zeigt Liv auch deutliche Herdenschutzambitionen auf – obwohl sie für eine echte Herdenschutzhündin eigentlich viel zu klein ist. Dieses macht sich als knallhartes Territorial- und Abwehrverhalten bemerkbar.
Unserer Illusionen beraubt
Es steht geschrieben, was das bedeutet! Wir lernten, dass bei diesen Hunden alles anders herum funktioniert, ihre Psyche ist komplex und faszinierend. Ein paar Kostproben hatten wir ja schon erhalten.
Dauerbrenner „Beschäftigung“ (1):
Unsere Hundetrainerin drückte uns eine Futterangel in die Hand, die sie uns mit ihrem Aussi eindrucksvoll demonstriert hatte. Nun liegt sie in der Ecke, die Angel – wie das so geht. Denn wenn Liv so etwas wie Futter wahrnimmt, schnüffelt sie nur konsequent den Boden ab und ist davon nicht mehr abzubringen. Und unser schlauer Hekkibär?? Der setzt sich vor dem zappelnden Futterbrocken in aller Ruhe hin und beobachtet diesen. In dem Moment, in dem das Bewegungsmuster des Futterbrockens einen kurzen Augenblick des Stillstandes annimmt, schnellt Heikki blitzartig hoch und holt sich den Happen! Alle Achtung!! An dieser Stelle mussten wir das sehr komplexe Thema „Reizangel“ erst mal ad acta legen – es gab einfach zuviel andere Baustellen!
Futterangel Fehlanzeige!
Unsere Erfahrungen laufen darauf hinaus, dass für die Hunde ein guter Grundpegel an Beschäftigung im unbegrenzten Zusammenleben mit ihren Menschen bereits gegeben ist. Da gibt es immer etwas zu beobachten, zu behüten, abzustauben. Die Pflege kommt ja noch dazu wie kleine Aufgaben, Spielchen, ständige Kommunikationen und die Liebeleien. Hunde schlafen auch gern ausgiebigst und müssen das auch. Und für die hyperaktive Liv wären unangemessene Beschäftigungsanreize sogar sehr schädlich. Nach Literaturaussagen erfordert der Umgang mit ihr viel mehr die stete Beruhigung und Anleitung zur Passivität.
Der Hund als Mitbewohner im Haus
Sehr gute Erfahrungen haben wir insbesondere bei dem Energiebündel Liv damit gemacht, die Fütterung als Ritual zu gestalten. Das Unvermeidliche zunächst im Napf, danach Kong, und den Hauptgang in hohem Bogen in den Garten werfen. Liv muss dazu konsequent immer etwas tun. Danach herrscht Ruhe. Die Livi wusste anfangs mit dem gefüllten Kong überhauptnichts anzufangen! Heute bringt sie den Kong wie frisch gesäubert in die Küche und holt sich dafür ihre Belohnung ab. Für die bemühten Hundehalter erzeugt das Momente höchsten Glücks…
Fütterung als Ritual
Dazu sind natürlich tägliche, ausgedehnte Wanderungen und Schwimmausflüge in hundegerechter Naturumgebung oberste Pflicht! Wenn man das jeden Tag macht wie wir zweimal über insgesamt 3 bis 4 Stunden, dann kommen soviel Situationen und Erlebnisse und soviel Kommunikation zusammen, dass allein dadurch ein Reichtum durchaus gegeben ist. Wichtig ist uns, dass die Wanderungen den Hunden gehören. Turid Rugaas schreibt in „Hilfe, mein Hund zieht!“ so schön dazu: „Mein Wunsch wäre es, in einer Gesellschaft zu leben, in der Hunde so respektiert und geachtet werden, wie sie sind. […..] Hunde dürften an interessanten Gerüchen verweilen und in aller Ruhe schnüffeln uns alles betrachten, was gerade um sie herum vor sich geht.“
Eine der liebsten Hundebeschäftigungen scheint es auch zu sein, stundenlang scheinbar schlafend zugegen zu sein, wenn ihr Mensch etwas arbeitet.
Ich probierte so manches aus. Nachdem ich hin- und herschlingernd Livs gewaltigen Leinenruck an der Hand pariert habe, geht es rechts ab, und Liv zieht im gestreckten Galopp mich samt Fahrrad eine ansteigende Siedlungsstraße hoch! Es scheint zu stimmen, dass ich mit Liv am Fahhrad wenigstens einen Beitrag zur Befriedigung ihres unendlichen Laufbedürfnisses leisten kann. Liv zieht stark nach vorn und links von mir weg, weshalb ich auf dem Rad eine verzwängte Haltung einnehmen und bombenfest gegenhalten muss. Heikki liegt gelassen bei uns im Haushof. Sein Blick folgt uns jedes Mal, wenn wir nach einer vollendeten Runde vorbeigesaust kommen, mit einer Kopfdrehung wie bei einem Zuschauer eines Autorennens. Nach einer viertel Stunde über 3 Siedlungsrunden bin ich am Ende meiner Kräfte…
Das ging solange gut, bis einmal kurz vor „Zieleinlauf“ am rechten Straßenrand ein kläffender Yorkshire Terrier hinter einem Grundstückszaun auftauchte! Liv, im Hundegeschirr links von mir laufend, wollte jetzt mit aller Gewalt nach rechts. Ich konnte ihr mit ausgestrecktem Arm so gerade noch soviel Leine geben, dass sie vor das Vorderrad kam, dann bog sie nach rechts zu dem Terrier ab und riss dabei das Vorderrad mit. Das Fahrrad kippte in voller Fahrt ruckartig nach links…. Ich muss schon an meine Zeit als Moto Cross-Fahrer zurückdenken, um mich an einen solchen Sturz zu erinnern. Keinem der Beteiligten ist dabei etwas zugestoßen!
Copyright Martin Thurau
Fortsetzung mit Teil 3: viel Aufwand mit den ersten Problemlösungen. Was Neufi Heikki so treibt. Und: weitere Erfahrungen eines normalsterblichen Herrchens zum Thema „Beschäftigung“.