Zeppelin und Düsenjäger Teil 1

Posted in: Galerie, Stories
Tags:

Zeppelin und Düsenjäger

In Schweinfurt lebt der majestätische Neufi-Rüde Heikki harmonisch mit der quirligen Hütehündin Liv zusammen, wie sie anders gestrickter nicht sein könnte.

Teil 1: Hütehündin Livs Einzug in ein neues Leben bereitet Neufrauchen und –herrchen manche Schwierigkeiten. Und:Kurzportrait der Hunde. Von Martin Thurau

Flinkes Pfotentrippeln in der Dunkelheit kündigt mir an, dass mich gleich eine hektisch stupsende und schmusende Hundenase sanft und lustig aus dem Tiefschlaf wecken wird. Schlaftrunken geniesse ich die lebendigen Berührungen an meiner Wange. Da fällt ein schwacherSchatten über das Bett. „Oh Livi, Vooorsicht…..oh, oh!“ Mondlicht fällt auf den mächtigen Rücken des Neufundländers, sein Antlitz bleibt im Dunklen verborgen. Er schaut unserem Techtelmechtel reglos zu, setzt sich dann gemächlich in Bewegung und kommt herum, verdrängt Liv langsam aus der Nische neben meinem Bett. Mit einem Seufzer sinkt der Neufi nieder und beginnt ein melodisches Schnarchen.

Der Aufbruch von Liv (ehemals „Sky“) in ein neues Leben begann, als sich drei erwachsene Menschen an einem dunklen, kalten Februarabend 2012 in einer fernen Stadt am Esstisch über die Papiere eines zu verkaufenden Autos beugten. Beim Herausholen eines Stiftes aus meiner Jacke fiel mir ein zierlicher, mittelgroßer Hund auf, der mich aus der Finsternis heraus durch das Fenster der Terassentür anschaute. Sofort wurde meine „Neufi-in-Not-Seele“ wach. „Och, wer ist denn das? Von mir aus können Sie den ruhig reinlassen!“ „Nee, wenn´se dieHündin reinlassen, dann müssen´se erst….“, eine wegwerfende Geste des Autoanbieters. „Das sollte eigentlich ein Berner Sennhund werden. Ich weiß nicht, mit der haben´se uns beschissen.“ Dieser Satz brannte sich fest in mein Hundeliebhaberhirn ein und ließ mich nicht mehr in Ruhe.
Klarer Fall: Liv reist mit nach Schweinfurt

Daheim. Bedenkzeit für den Autokauf. Ratlosigkeit wegen dem Hund. „Tja, meins´te wir können einen zweiten….?“

 

Vorstellung unserer Hunde:

Heikki (finnischer Männername, das „ei“ gesprochen wie in „Heyh Du!“):
reinrassiger Neufi-Rüde von 60 kg, 4 Jahre alt, nicht kastriert. Allergisch gegen zahlreiche Futtertier-Eiweiße. Heikki kam von Neufi-in-Not noch als einjähriger Welpe zu uns, ein unglaublich günstigerUmstand. Nun ist er sehr stolz, bärenstark, ausgeglichen und äußerst selbstbewusst.

Es ist kaum zu glauben, aber Heikki war zu Beginn wasserscheu und ging nur bis zu den Knöcheln ins kühle Nass! Was seine unrühmliche Vorgeschichte bei einer altersschwachen Dame doch für Spuren hinterlassen hat. Ich musste ihm erst das Schwimmen demonstrieren, was bei ihm einen heftigen Gemütssturm auslöste. Wenn ich mit ihm richtig schwimmen will, muss ich auch heute noch in Vorleistung gehen und immer wieder einen Stock vorwerfen. Schwimmend ist das ganz schön anstrengend! Schaffe ich es mit dem Werfen bis über die Hälfte der Seebreite, kommt Heikki bis zum gegenüberliegenden Ufer mit. Hat er ihn früher, kehrt er mit dem Stock um…, tja.

Wegen seiner ruhigen Gangart meinen viele Leute meinen, Heikki sei alt. Wenn er will, ist er allerdings schneller und flinker als die flotte Liv. Er kann in geschmeidigem Galopp die unwegsamsten Waldhänge heruntersausen, während Herrchen zaghaft hinterherstakst.

Heikki beeindruckt auch durch geistige Fähigkeiten. Er zeigt ein wochenübergreifendes Zeitgedächtnis. Er weiß, an welchem Tag Ohrenpflege, wann Fellpflege angesagt ist. Samstagmorgens nimmt er mich nicht wie sonst in den Wald, sondern regelrecht zum Stadtgang mit. Er zeigt eine großartige Beobachtungsgabe, ein ausgeprägtes, sehr würdevolles Kommunikationsvermögen, und ein erstaunlich soziales Engagement gegenüber Artgenossen. Er erzieht Welpen und bringt ihnen die so lebenswichtigen Beschwichtigungssignale bei, bringt kleine Motzer charmant zur Räson, liest großen Motzern gehörig die Leviten. Auf Wanderungen auch mit Gästen übernimmt er beeindruckende Begleit- und lebenswichtige Orientierungsdienstleistungen. Er identifiziert auf unbekanntem Terrain Sackgassen, ehe mensch sie erkennen kann!

Liv (skandinavischer Frauenname):
3 jährige, 20 kg schwere Hündin, nicht kastriert. Muskelbepackte Athletin. Frei nach Asterix: eine listige Kriegerin von sprühender Intelligenz. Ausgeprägte Kombination von Hüte- und Herdenschutzeigenschaften. Eine Zwitterkonstitution, wie sie bei ein französischen Hirtenhunden typisch ist: Antlitz, Körperbau und Fell eines Berger de Pyrennes, die Ohren von einem Picard…. Sie kann mit gesenktem Kopf unter Heikki durchgehen, was häufig zu lustigen Szenen führt.

Liv ist unglaublich lieb und äußerst fordernd. In entspannten Situationen wartet sie gebannt auf Kommandos, in angespannten Situationen hört sie überhaupt nicht. Häufig muss ich sie aus ihren hypererregten Zuständen herausschreien. Auch im Tiefschlaf entgeht ihr keine Regung. Wenn ich ihr den gefüllten Futternapf hinstelle, bleibt sie solange stehen und schaut mir fest in die Augen, bis mein Freigabesignal kommt. Für ihre Abwehrtiraden hingegen ist sie bereit, diese auch kämpfend gegen meine Hinderungsversuche durchzusetzen! Sie ist uns ständig auf den Fersen und lässt uns nicht aus den Augen.

Besonderes beeindruckend demonstrierte sie ihr nimmermüdes Pflichtbewusstsein, als ich einmal in der Garage ein Metallteil mit der Schleifmaschine bearbeitet habe – und wer stand da unbeirrrbar hinter mir in infernalischem Lärm und Funkenregen….?

Ruhen tut sie nur, wenn ihre Herde ruht. Eine unruhige Familie würde sie in der frühen Erschöpfungstod treiben. Uns vermittelt sie so den Eindruck einer rührenden, selbstlosen und herzerweichenden Loyalität. T. A. Schoke beschreibt in seinem Standardwerk „Herdenschutzhunde (animal learn-Verlag) vortrefflich die wertvollen, altruistischen Beweggründe dieser Hundegattungen.

 

Auf diesem Status der ehelichen Diskussion reiste ich eine Woche später zum Autokauf wieder los. Nach getanem Geschäft meine Frage an den Hausherrn: „woll´n wir mal die Hündin anschauen?“ Bereitwillig führte mich Herrchen auf die Terasse und entließ Sky aus ihrem Gartenabteil. „Für die suchen wir einen Rentner oder jemanden, der für sie den ganzen Tag Zeit hat. Anders geht das nicht.“ Läufigkeit war angeblich noch nie aufgefallen.

Obwohl ein Hund dieser Gattung mir eigentlich misstrauisch und reserviert hätte begegnen sollen, kam Sky direkt auf mich zu und ließ sich auf leidenschaftliches Spiel mit viel Knuddeln ein. Diese Hündin – ausgesperrt, ungeliebt, unverstanden, ungepflegt, unbeschäftigt…? Klarer Fall. Kurzer Anruf zuhause, 10,- Euro für die Hundeleine, und Sky reiste auf dem Beifahrersitz des frisch erstandenen Golf Diesel Variant mit ins ferne Schweinfurt!!

Hüten und beschützen _ Livs Leidenschaft

Livs Einzug spätabends in ihr neues Zuhause verlief denkbar unspektakulär. Heikki beschnüffelte sie interessiert, ging mit ihr einmal die Räumlichkeiten ab und haute sich wieder aufs Ohr. Liv bezog ihren Platz, den früher der Neufi-Rüde Aragon, Heikkis Vorgänger, inne hatte. Alles in Butter! So einfach ist das?? Für Heikki, ja!

Für Herrchen und Frauchen nicht so ganz! Liv verwendete unseren Garten durchweg als Ablageort für ihre besonders zahlreichen Verdauungsprodukte. Livs nächtliches Warnbellen nahmen wir anfangs noch erschrocken hin – wird schon werden! Aber es wurde nicht, sie reagierte nachts heftig auf unseren nachtaktiven Mieter im 1. Stock über uns, Nachbars Katze und was noch. Das raubte uns den Schlaf und trieb die erste Ratlosigkeit in unser Gemüt.

Copyright Martin Thurau

Fortsetzung mit Teil 2: Wie Liv Frauchen und Herrchen senkrecht aus dem 7. Neufihimmel katapultiert.Und: erste Erfahrungen eines normalsterblichen Herrchens zum Thema „Beschäftigung“.

lightbox login donation
lightbox login donation beschreibung